Nudge me if you can
Nutzer in eine bestimmte Richtung zu leiten, so wir es uns als UX-Designer uns wünschen, ist nicht immer ganz so einfach. Die Nutzer lernen vielleicht gerade erst unsere neue Anwendung kennen, müssen viele Informationen gleichzeitig verarbeiten und verlassen sich dabei oftmals auf altbekannte Handlungsmuster. Dabei können bestimmte Inhalte übersehen, ignoriert oder falsch verarbeitet werden. Das Design bietet uns jedoch vielfältige Möglichkeiten, Nutzer dabei zu helfen, die für sie optimalere Entscheidung zu treffen. Denn manchmal fehlt einfach nur ein kleiner „Nudge“…
Was sind Nudges? Und warum sind sie von Bedeutung?
Der Begriff "Nudge" ist aus dem Englischen vom Verb „to nudge“ abgeleitet und heißt übersetzt „(an)stupsen, anstoßen“. Bei Nudges handelt es sich also um kleine Stupser, die Nutzer bei ihren Entscheidungen beeinflussen und ihnen einen sanften Stoß in eine bestimmte Richtung geben sollen. Die Art und Weise, wie Informationen in ihrer Struktur und Umgebung dargestellt werden, wird Entscheidungsarchitektur genannt. Nudges kommen sowohl in der realen Welt als auch in digitaler Umgebung vor und rufen gezielt Veränderungen der Entscheidungsarchitektur hervor.
Im digitalen Kontext werden Nudges als „[...] use of user-interface design elements to guide people’s behavior in digital choice environments.” beschrieben (Weinmann et al., 2016, S. 433). Wie auch in der realen Welt, werden Nutzer im User Interface (UI) vor die Wahl gestellt, Entscheidungen zu fällen. Auswahlmöglichkeiten für die Nutzer neutral darzustellen, ist schier gar nicht möglich, da jede Darstellungsoption Einfluss auf ihre Entscheidungen hat. Bereits kleinste Veränderungen der digitalen Umgebung, wie in etwa Voreinstellungen, wirken sich auf das Nutzerverhalten aus. Ist beispielsweise bei einer Standardauswahl keine Option selektiert, wird meistens der Status Quo beibehalten, da Nutzer dazu tendieren, diese Einstellung häufiger anzunehmen, als den Status Quo zu ändern. Obwohl also keine Vorauswahl für die Nutzer getroffen wurde, lenkt diese Entscheidungsarchitektur der Nicht-Auswahl die darauffolgende Handlung der Nutzer. Dieser Effekt wird auch als Status Quo Bias bezeichnet.
Verschiedenste solcher psychologischen Effekte haben Einfluss auf den Entscheidungsprozess der Nutzer. Die Effekte zu verstehen, die die Entscheidungsarchitektur und dementsprechend der Einsatz von Nudges auf Nutzer hat, ist insbesondere für UX- und UI-Designer von großer Bedeutung. Das Wissen über die Verhaltenswirkung von Nudges hilft Designer dabei, nicht nur bestimmte Ziele wie etwa Umsatzsteigerung zu erreichen, sondern willkürliche und unbeabsichtigte Effekte durch Nudges zu vermeiden. Dabei spielt auch die Kenntnis über die Nutzer eine große Rolle, da deren Charakteristiken und Eigenschaften stark die Wirkungskraft der Nudges beeinträchtigen können. Zudem sind die Nutzer selbst unvermeidlich durch Rahmenbedingungen (z.B. soziale Einflüsse) beeinflusst, aufgrund dessen sie gute oder schlechte Entscheidungen treffen. Daher sind sie auf Entscheidungsarchitekturen angewiesen, die ihnen bei ihrer Auswahl helfen und ihnen einen sanften Anstoß geben.
Faustregeln helfen der Entscheidungsfindung
Nudges werden aus dem Grund eingesetzt, dass Nutzer sich durch ihre Rahmenbedingungen und kognitive Limitierung nicht immer rational verhalten. Urteilsheuristiken, auch Faustregeln oder Prinzipien genannt, helfen den Nutzer bei der Informationsvereinfachung und dem Treffen von Entscheidungen. Diese Prinzipien können sowohl negative als auch positive Einflüsse auf Entscheidungen haben. Daher sind Nutzer besonders empfänglich für Nudges, da sie nicht jede Entscheidung hinterfragen, sondern auf bereits erprobte Faustregeln zurückgreifen. Dabei können verschiedene Nudge-Prinzipien helfen, die Nutzer bei ihren Entscheidungen zu unterstützen. Zu digitalen Nudge-Prinzipien gehören u.a.: Anreize, Mapping verstehen, Standardvorgaben, Feedback geben, Fehler einkalkulieren, komplexe Entscheidungen strukturieren.
Durch Anreize, im Designkontext zum Beispiel eine visuelle (farbliche o.ä.) Hervorhebung kann beispielsweise die Wirksamkeit von Designelementen erhöht werden. Währenddessen fördert Mapping die Aufbereitung schwieriger Informationen anhand bekannter Bewertungsschemata. Ein Beispiel hierfür ist der Slider, der mit einem Wasserhahn zu vergleichen ist. Je nachdem in welche Richtung der Hahn aufgedreht wird, wird kaltes oder warmes Wasser herausfließen. Ganz ähnlich funktioniert der Slider, dessen Verschieben in die eine oder andere Richtung eine Veränderung wie etwa eine Preis-, Radius- oder Helligkeitsregulierung haben kann.
Als einer weiterer Nudge bezieht sich das Prinzip der Strukturierung von komplexen Entscheidungen auf die Auflistung der Eigenschaften aller Alternativen, sodass die Nutzer Informationen, wie etwa verschiedene Produktoptionen, schneller zuordnen können.
Auch das Verwenden von Notifikationen als Feedback an die Nutzer oder Voreinstellungen von Checkboxen als Standardvorgabe zählt zu den oben genannten Nudge-Prinzipien im UX- und UI-Kontext. Ein Designelement in einer nicht-neutralen Art und Weise zu gestalten, wie die Defaultoption einer Checkbox von „nicht-ausgewählt“ zu „ausgewählt“, also zum aktiven Zustand zu ändern, kann dabei bereits das Nutzerverhalten lenken und über den Status Quo entscheiden. Nudges sollen dabei nicht aktiv eine Handlung erzwingen, sondern unter anderem die Aufmerksamkeit der Nutzer lenken und auf diese Art und Weise eine Handlung hervorrufen, die somit auf einer selbständigen Entscheidung der Nutzer basiert.
Aber ist das alles nicht Manipulation?
Nudges beruhen nach Thaler und Sunstein (2009) auf dem Prinzip des libertären Paternalismus. Dieses Prinzip besagt, dass Entscheidungsarchitekten bestimmte Richtlinien für Nutzer entwerfen, die die Nutzer sowohl in eine für sie bessere Richtung lenken, dabei jedoch gleichzeitig ihre Entscheidungsfreiheit weiterhin gewährleisten. Die Nudges und ihr jeweiliger Zweck sollen für die Nutzer erkennbar und einfach zu umgehen sein. Wenn jedoch den Nutzer nicht bewusst ist, dass beispielsweise die Standardvorgabe eine Art der Empfehlung oder in einigen Fällen sogar einen Manipulationsversuch darstellt und sie eine andere Wahlmöglichkeit haben, dann ist die Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt. Nutzer zu Entscheidungen zu drängen, die sich entgegen ihres Wohles stellen, wird als unethisch angesehen. Deshalb sollte beim Design der Nudges beziehungsweise der Entscheidungsarchitektur darauf geachtet werden, Ziele zu definieren, die ethische Auswirkungen miteinbeziehen. Stephen Wendel (2020) schlägt eine Ethik-Checkliste vor, an der sich Designer bei der Anwendung von Techniken zur Verhaltensänderung richten können. Dazu gehört kein Suchtverhalten zu fördern, nur Techniken zu implementieren, von denen die Nutzer Gebrauch machen können, Transparenz zu zeigen, Optionen bereitzustellen und sich als Designer zu fragen, ob das Produkt selbst auch genutzt werden würde Trotz der Diskussionen um Manipulation, Eingriffe in die Entscheidungsautonomie und Einwände ethischer Aspekte, die den libertären Paternalismus kritisieren, bleibt dennoch eindeutig, dass die Verhaltensänderung das Hauptziel des Einsatzes von Nudges ist. Daher ist es wichtig, kognitive und nicht kognitive Entscheidungsprozesse nachzuvollziehen und so Fragen über die Entscheidungsfreiheit des Individuums besser beurteilen zu können. Designer sollten die Entscheidungsarchitektur für die Nutzer so aufbauen, dass sie in ihnen ein Gefühl von eigenverantwortlichem und selbstbestimmten Handeln geben.
Gutes Nudging, böses Nudging
Entgegen aller Richtlinien, Ethik-Checklisten und moralischen Designansprüche gibt es natürlich nichtsdestotrotz Designs, die absichtlich nutzerunfreundlich sind und die Entscheidungsarchitektur für Nutzer besonders kompliziert, trügerisch oder intransparent gestalten. Sogenannte Dark Pattern können die Aufmerksamkeit der Nutzer so ausnutzen, dass ihre Entscheidungsfreiheit negativ beeinflusst wird und ein Verhalten angestoßen wird, welches nicht im Interesse der Nutzer steht. In unserem Artikel Dark Pattern werden verschiedene Manipulationstricks genauer vorgestellt.
Aber nicht nur „dunkles Design“ nutzt Nudge-Prinzipien als Werkzeug um Nutzerverhalten zu beeinflussen. Green Nudges beschreibt die „grüne“ Variante des Nudging, deren Ziel es ist, ein nachhaltigeres, umweltbewussteres Verhalten anzuregen. Green Nudges können die Darstellung von Informationen über individuelle CO2-Emissionen der Nutzer sein oder auch die Veränderung der (digitalen) Umgebung und Anpassungen von Default-Optionen, die beispielsweise Angewohnheiten eines nachhaltigen Reiseverhaltens fördern. Entscheidungsarchitekt können zum Beispiel Informationen zu CO2-Emissionen so designen, dass sie für die Nutzer leichter zugänglich sind und die aus ihren Entscheidungen folgenden Konsequenzen einfacher zugeordnet werden können.
Fazit
Nutzer anhand digitaler Nudges einen kleinen Stups in die richtige Richtung zu geben sollten wir als UX- und UI-Designer immer im Hinterkopf behalten und uns fragen, wie wir die Entscheidungsarchitektur so transparent und nutzerfreundlich wie möglich zu gestalten. Verschiedene Nudge-Prinzipien helfen uns dabei, Möglichkeiten dafür zu finden und anhand von beispielsweise Nutzertests herauszufinden, welche Nudges für den entsprechenden Fall am besten für sie wirken. Schlussendlich kann so die Nutzermotivation erhöht und ein positives Nutzen der jeweiligen Anwendung oder des Systems gefördert werden.
Quellen:
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